Wort zum Nachdenken
Dunkel ist es. Einsam und kalt. Kaum ein Lichtstrahl dringt in dieses Loch. Ein Ort der Hoffnungslosigkeit. Des ungewissen Wartens.
Seine Gedanken gehen auf Wanderschaft. Stand er tatsächlich noch vor einigen Wochen an den Ufern des Flusses? Mitten in der heißen Wüste?
Es scheint ihm eine Ewigkeit entfernt zu sein.
Sein ganzes Leben hatte er auf diesen einen Auftrag ausgerichtet. Auf die Vision, die sein Vater kurz nach seiner Geburt über seinem Leben ausgesprochen hatte. Wegbereiter. Prophet des Höchsten.
Und sogar Gott selbst hatte ihm diese Lebensaufgabe bestätigt. Ihm diesen Auftrag gegeben. Ihm, dem Wüstenmensch im Kamelhaarmantel.
Und eines Tages kam er. Unter all den vielen Menschen tauchte er plötzlich auf. Er hatte ihn sofort erkannt. Gewusst: Das ist der Mann.
Der, auf den ich mein Leben lang gewartet habe. Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Sein Lebensauftrag war erfüllt.
Doch nun scheint das alles so unendlich weit entfernt. Der Geschmack von süßem Honig nicht mehr als eine vage Erinnerung. Selbst hier in diesem Loch hört er sie. Die Stimmen, die hinter vorgehaltener Hand von ihm erzählen. Von all den Wundern, die dieser Mann dort draußen vollbringt. Während er selbst hier unten sitzt. Alleingelassen. Vergessen. Gefangen und gequält.
Es wäre diesem Mann doch ein Leichtes, auch für ihn ein Wunder zu tun. Immerhin hatte er sein gesamtes Leben für ihn gelebt. Für diesen besonderen Lebensauftrag.
Zweifel quälen sein Herz. Enttäuschung. Diese unaussprechliche Spannung zwischen dem, was er zu wissen meinte und nun erlebt.
Und so schickt er zwei seiner Freunde mit der für ihn alles entscheidenden Frage zu ihm: Bist du der, der kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?
Johannes wird später grausaum ermordet. Kein Happy End. Keine Rettung in letzter Sekunde. Kein ersichtliches Wunder.
Und diese Spannung, in der sein Leben endet zwischen "Seht her, das ist das Lamm Gottes" und "Bist du der oder sollen wir noch warten?" wird nicht aufgelöst. Glattgebügelt. Wegerklärt.
Das schätze ich so sehr an der Bibel. Diese Ehrlichkeit. Dass sie mir erzählt, dass auch andere Menschen mit und in dieser Spannung leben. Mit ihr umgehen (müssen).
Johannes wird mir da zum Vorbild. Er stellt seine Fragen. Fasst seine Herzenszweifel in Worte. Das, was ihm zu schaffen macht, was ihn quält, was ihm unverständlich erscheint und was er nicht einordnen kann.
Herzlichst,
Ihre Maren Schneider